Wir denken heute
an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
Von Heinrich Heine stammt folgender Satz:
„Unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte.“
Unter jedem Grabstein eine ganze Welt. – Das stimmt wohl für die Menschen, die nach einem satten Leben, alt, quasi vom Leben müde sterben. Heute gedenken wir aber jener, die nicht alt starben, die ihr Leben noch nicht gelebt hatten. Wir gedenken der Menschen, die im Krieg starben, die Opfer des Krieges wurden. Unter jedem Grabstein – wenn Sie denn einen Grabstein haben – eine ganze Welt? – Nein, wohl eher Träume, Wünsche, Ziele. Unter jedem Grabstein ein ungelebtes Leben. Ein vermeidbarer Tod!
Der Monat November hat viele Gedenktage für unsere Verstorbenen: Allerseelen, Allerheiligen, der Totensonntag und dazwischen der Volkstrauertag. Wir trauern an diesem Tag nicht nur um Verstorbene allgemein, sondern um jene Verstorbenen, an deren Tod wir Menschen – nicht individuell, aber grundsätzlich – schuldig sind. Mit dem heutigen Beisammensein wird eine lange gepflegte Tradition fortgesetzt. Wir versammeln uns alljährlich hier am Ehrenmal um an die in den beiden Weltkriegen gefallenen Soldaten und Zivilbürgern zu gedenken.
Welche Bedeutung hat diese alljährliche Zusammenkunft für die Gegenwart und Zukunft.
Von dem italienische Dichter und Gelehrte Francesco Petrarca. stammen folgende Sätze:
„Fünf große Feinde des Friedens wohnen in uns: nämlich Habgier, Ehrgeiz, Neid, Wut und Stolz. Wenn diese Feinde vertrieben werden könnten, würden wir zweifellos ewigen Frieden genießen.“
Diese Sätze stammen nicht etwa aus der heutigen Zeit sondern bereits aus dem 14. Jahrhundert
Ist Petrarcas scharfsinnige Analyse richtig, dann wird wohl auch Astrid Lindgrens Behauptung zutreffen: „Über den Frieden sprechen heißt über etwas sprechen, das es nicht gibt.“ Hoffen wir, dass Astrid Lindgren irgendeinmal widerlegt wird und Frieden in Freiheit in aller Welt möglich ist.
Wir leben seit fast70 Jahren in einer relativ stabilen Demokratie und in Frieden und Freiheit. Wir leben in einem Europa, das friedliche Nachbarschaft und immer mehr Gemeinsamkeit anstrebt. * Dies war gerade im vergangenem Jahrhundert nicht immer so. Wir sind von vielen Krisenherden umgeben, wir hören täglich von neuen Gewaltausbrüchen irgendwo auf der Welt. Weil die Welt immer mehr zusammenwächst, bekommen wir es auch immer mehr mit. Weil die Welt immer mehr zusammenwächst, betrifft es uns aber auch immer mehr.
Ob Afghanistan, der Sudan, Syrien und der Irak. Für die vielen anderen Staaten, die man in diesen Regionen nennen könnte, sind Frieden und Freiheit nur eine Hoffnung, dort sind blutige Auseinandersetzungen und Unterdrückung Alltag. Wir können nicht so tun, als ginge uns das nichts an.
Im Moment leide ich an meinem Europa, an unserem Europa. Ich gebe zu, ich bin traurig und fast entmutigt in Anbetracht der Ereignisse der letzten Wochen und Monaten. Vor 25 Jahren wurde die Todesmauer niedergerissen und heute sollen wieder Stacheldrahtzäune und Mauern in Europa errichtet werden? Was haben wir getan? Oder vielmehr, was haben wir nicht getan? – dass diese wundervolle europäische Idee zu einem Ventil des Grolls wird, zu einer Zielscheibe der Propaganda und zum Sprachrohr der unzufriedenen. Wir sind ein reiches Land, wir können die Probleme, die natürlich vorhanden sind lösen und werden in einigen Jahren feststellen, wir haben 2015 die richtigen Weichen gestellt.
Wir müssen all diese „Euroskeptiker“ und Unzufriedenen daran erinnern, dass auf dem ganzen Gebiet der EU – von Estland bis Portugal, von den Portugal bis in die baltischen Länder – die europäischen Bürger in Freiheit, Sicherheit und Frieden leben, trotz der Anschläge Freitagnacht in Paris und wichtig Solidarität ist keine Einbahnstraße.
Haben diese Menschen ihre Geschichtsbücher nicht gelesen?
Heute, in einer Welt voller Unsicherheiten, was wären wir da ohne Europa? Nur zusammen, mit vereinten Kräften, mit vereintem Verstand, unserer Vielfalt und unseren gemeinsamen Werten, fallen wir ins Gewicht bei der Gestaltung der Welt von Morgen. Umso dringlicher ist es, neue Formen zur Bewältigung der Konflikte zu finden. Denn ich denke, eine Lehre kann aus allen Konflikten und Krisen der Vergangenheit und Gegenwart gezogen werden: Gewalt erzeugt neue und vor allem Gegengewalt. Die Botschaft des heutigen Tages kann deshalb nur lauten: den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen, denn der Friede hat ebenso viele Siege aufzuweisen wie der Krieg und Terror, aber weit weniger Denkmäler!
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
Nicht wenige von denen, die heute nicht hier sind, sind vielleicht der Meinung, eine Ehrung dieser Art passe nicht mehr in unsere Zeit. Sie sei rückwärts gewandt und könne unterbleiben, weil die Erinnerung an die Toten verblasse und unser Leben nicht mehr betreffe. Wer so denkt irrt sich. Leider denkt vor allem ein großer Teil unserer jüngeren Generation so. Einer Generation, die in Frieden und Freiheit und Wohlstand aufgewachsen ist und die schrecklichen Erlebnisse eines Krieges und deren Folgen nur noch aus Medienberichten kennt. Für viele unserer Mitmenschen sind die Weltkriege und das NS-Regime ferne Zeiten. Wer begreift, was Krieg und Gewalt bedeuten, wird die Welt danach mit anderen Augen sehen. Er wird erkennen, dass sein Leben in unserem Land, das in Frieden mit seinen Nachbarn lebt und das die Menschenrechte wahren, dass dieses Leben ein Geschenk ist. Ein Geschenk, das freilich auch eine Verpflichtung enthält.
Ein Leben in Frieden und in Freiheit ist nicht selbstverständlich und muss immer wieder von neuen erarbeitet werden, gestern, heute und morgen. Soldatenfriedhöfe, Ehrenmale wie dieses und Kriegsgräber sind Orte der Erinnerung und des Gedenkens. Aber eben nicht ausschließlich. „Sie sind auch Ausgangspunkt für Verständigung, Versöhnung und Freundschaft für die Menschen ehemals verfeindeter Länder. Die Gräber mahnen zum Frieden“,
Mein französischer Freund Andre aus Vire , mittlerweile 90 Jahre alt und er hat den Weltkrieg als jünger Mann noch miterlebt, hat am Anfang unsere Freundschaft mir folgenden Satz mit auf den Weg gegeben.
Vergeben ja – vergessen nie.
Zum Schluss erlauben Sie mir, für mich diesen Satz von dem französischen Schriftsteller Jean Giorno zu zitieren:
„Was mich an dem Krieg so ekelt, ist sein Schwachsinn.“ Ich liebe das Leben.
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